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Archäologische Spuren

In den Sommerferien wurden die umfangreichen archäologischen Untersuchungen auf dem Shedplatz abgeschlossen. Kürzlich gab es vor Ort eine instruktive Einführung von Herrn Dr. Bertram Jenisch in die vorhandene archäologische Befundsituation, die nun ausführlich in der Schriftfassung „Kloster – Garten – Fabrik: Archäologische Spuren zur Baugeschichte von St. Blasien“ vorliegt und hier in diesem Artikel studiert werden kann. Jenisch ist beim Landesamt für Denkmalpflege in Freiburg leitend tätig und Koordinator der Archäologie und stellvertretender Fachbereichsleiter für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Seine Forschungsschwerpunkte: mittelalterliche Siedlungsentwicklung, Erforschung von Klöstern in Südwestdeutschland, Technikgeschichte und Sachkultur in Südwestdeutschland.

Kloster – Garten – Fabrik: Archäologische Spuren zur Baugeschichte von St. Blasien

Von Dr. Bertram Jenisch

Das Kolleg St. Blasien beabsichtigt auf einer Freifläche, die östlich an die ehemaligen Klostergebäude angrenzt (Fürstabt-Gerbert-Straße 14, 14a, 20, Flst.-Nr. 2/6) auf einer Fläche von ca. 1.600 m² einen Erweiterungsbau zu errichten. Darin sollen die neuen Fachräume des Naturwissenschaftlichen Zentrums untergebracht werden. Das Baugrundstück liegt vollumfänglich im Bereich des bekannten Kulturdenkmals gem. §12 Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg „Kloster St. Blasien“ (Liste der Kulturdenkmale lfd. Nr. 1, ADAB ID 99402812). Die Baumaßnahme betrifft zwar nicht den mittelalterlichen Kern der Klosteranlage, sondern liegt vielmehr im Bereich der barocken Gartenanlage. Dennoch war in dem Bereich mit umfangreichen archäologischen Befunden und Funden zu rechnen, die über die frühen Phasen des Klosters Auskunft geben können. Zwischen der Bauherrschaft Kolleg St. Blasien e.V. und dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart wurde daher eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung geschlossen um die Modalitäten einer notwendigen Rettungsgrabung (Kostentragung und Umfang der Maßnahme) zu regeln. Im Februar 2023 wurden durch Mitarbeiter der Denkmalpflege Sondagen angelegt, die die Vermutung bestätigten und Hinweise zur Überdeckung der mittelalterlichen Horizonte erbrachten. Mit der Rettungsgrabung wurde die Freiburger Grabungsfirma „e&b excav“ beauftragt, die die Maßnahme in enger Abstimmung mit dem Architekturbüro „Spiecker Sautter Lauer – Architekten“ vom 8. Mai bis 18. August 2023 unter der örtlichen Leitung von Louis Begemann durchführten (Abb. 1).

Daten zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte des Klosters St. Blasien
Das 948 als Albzelle gegründete Kloster St. Blasien im Südschwarzwald kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Mit der Übertragung von Teilen der Reliquien des Hl. Blasius in den Jahren 866 oder 870 sind die Ansätze für das Kloster fassbar, über dessen ursprüngliches Aussehen wir nichts erfahren. Diese älteste Cella wurde im frühen 10. Jahrhundert, wie viele andere Klöster in Südwestdeutschland zwischen 907 und 956, von ungarischen Reitertruppen zerstört.
Die eigentliche Gründung des Klosters erfolgte auf der Grundlage einer Stiftung von Reginbert von Seldenbüren (+ 964). Der erste Abt Beringar führte ab 948 die Benediktinerregel ein. Unter ihm entstand auch um 950 eine erste steinerne Kirche. Im frühen 11. Jahrhundert kam es zu einem Neubau der Klosterkirche. Das „Alte Münster“, eine dreischiffige Basilika, wurde 1013 geweiht.
Ein Großbrand vernichtete am 1. Mai 1322 die ganze Anlage, die bis 1348 im gotischen Stil neu errichtet worden ist. Zu erneuten Zerstörungen kam es 1525/26 im Bauernkrieg, diese waren allerdings nicht so nachhaltig und wurden repariert. Die in verschiedenen Kriegen im 17. Jahrhundert in Mitleidenschaft gezogene Klosteranlage wurde zwischen 1727-1742 durch einen von Johann Michael Beer geplanten barocken Neubau ersetzt. Dieser wurde nur 26 Jahre nach der Fertigstellung durch einen Großbrand zerstört. Der Neubau des Klosters im klassizistischen Stil mit dem imposanten Kuppeldom erfolgte nach 1768. Mit der Säkularisation im Jahr 1806 endete eine mehr als 858 Jahre lange monastische Tradition.

Die Nutzung der Gebäude nach Auflösung des Klosters
Die Gebäude des ehemaligen Klosters kamen an das Großherzogtum Baden, das es an den Schweizer Erfinder und Unternehmer Johann Georg Bodmer verkaufte. Ab 1807 wurden in den ehemaligen Konventsgebäude verschieden Fabriken eingerichtet. Bodmer ließ unmittelbar nach Erwerb der Gebäude mit elf sechsspännigen Fuhrwerken Maschinen, Werkzeug und Hausrat nach St. Blasien transportieren und begann mit dem Bau von baumwollspinn- und Webmaschinen. Später übernahm er auch die 1810 in einem anderen Gebäudetrakt gegründete Badische Gewehrfabrik. Die Fabrik wurde 1821 an Freiherr David von Eichenthal verkauft, der dort eine Baumwollspinnerei einrichtete. Im Jahr 1821 wurden dort 28.000 Spindeln betrieben und ¼ der gesamten Badischen Baumwollstoffe produziert. Aufgrund von wirtschaftlichen Problemen musste der Betrieb 1848/49 eingestellt werden. Der Unternehmer Carl Wilhelm Grether aus Schopfheim ersteigerte 1852 den Komplex und errichtete dort ab 1853 eine florierende Baumwollspinnerei. Nach einem verheerenden Brand wurde die Produktion in eine östlich der Konventsbauten neu errichteten Shed-Halle verlagert. Die Fabrik ging 1931 in er Weltwirtschaftskrise Konkurs. Ab 1934 begann dann mit der Einrichtung des Jesuitenkollegs ein neues Kapitel der sanktblasianer Geschichte.

Industriearchäologie: Baustrukturen der Shed-Halle
Nach Abtrag des Oberbodens kamen zunächst die unerwartet massiven Fundamente der am Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Shed-Halle der Baumwollspinnerei Grether zutage (Abb. 2). Diese für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Industriearchitektur wurde in Ihren Abmessungen nahezu vollständig erfasst. Die 43 m x 37 m große Halle war betriebsbedingt in verschiedene Bereiche gegliedert. Am westlichen Rand lag ein schmaler Bereich, der offenbar als Maschinenhaus diente (Abb. 2, 3), um die von einem kleinen Kraftwerk produzierte Energie über Transmissionsriemen auf die vier Webmaschinen zu übertragen. Die auffälligen Fundamente dieser Maschinen, die bis auf den gewachsenen Kies fundamentiert waren, lagen am Nordrand der Halle (Abb. 2, 3). Das Dach der Halle wurde von ursprünglich 48 Pfeilern getragen, von denen 36 in der Baugrube erfasst wurden. Zwölf weitere Pfeilerfundamente sind am Westrand der Halle zu erwarten. Sie waren auf tief gegründeten Punktfundamenten gelagerten, die in sechs Reihen gegliedert waren. Diese 1 bis 1,5 m im Quadrat messenden Mauerblöcke waren aus Abbruchmaterial des Klosters erbaut worden. Westlich der Halle wurde die Dachentwässerung in ein Kanalsystem geleitet und der Alb zugeführt. Zunächst bestand die Befürchtung, dass die massiven Abgrabungen für den Bau der Fabrikhalle alle älteren Nutzungsspuren beseitigt hatten, nach und nach zeichneten sich aber auch ältere Nutzungsschichten ab.

Eine Treppenanlage der klassizistischen Gartenanlage
Ein massiver, etwa 8 m breiter Mauerblock gab zunächst Rätsel auf (Abb. 3, 1). Es war klar, dass er nicht zur Maschinenhalle gehört hat, da er von einen der Pfeiler die das Dach stützten überlagert worden ist. Seinerseits überlagerte die Mauer ein älteres Kanalsystem, auf das noch einzugehen ist. Beim sorgfältigen Abtrag wurde deutlich, dass sich insbesondere an den Schmalseiten Treppenstufen andeuteten. Dies war der Ansatz für eine Überlagerung des Grabungsbefundes mit den überlieferten historischen Plänen der Klosteranlage.
Der Entwurf für den Wiederaufbau des Klosters und der Klosterkirche von Franz Josef Salzmann aus dem Jahr 1772 (Generallandesarchiv Karlsruhe G Salzmann-Mappe Nr. 3) stellt im Bereich unserer Grabungsfläche einen formal gestalteten Garten dar. In dem uns hier interessierenden Teilbereich ist eine von drei Treppen eingezeichnet, die das höher gelegene Klostergelände mit dem Garten verbanden. Die digitale Überlagerung dieses Planes mit dem Grabungsplan brachte die Gewissheit, dass es sich bei dem erfassten Mauerklotz um die südliche dieser drei nach 1772 errichteten Treppen handelt.

Reste der spätmittelalterlichen Bebauung
Schließlich wurden doch noch etliche Strukturen erfasst und dokumentiert, die mit der mittelalterlichen Klosteranlage in Verbindung stehen. Markant ist hier insbesondere ein Kanal, der über eine Länge von ca. 35 m erfasst wurde (Abb. 3, 2). Die mit einem leichten Gefälle nach Osten angelegte Wasserführung war zu beiden Seiten mit einer Mauer aus Bruchsteinen eingefasst. Der etwa 1 m breite Zwischenraum war etwa 1,3 m eingetieft (Abb. 4). Bei der Anlage von Profilschnitten konnten keine Funde aus der Nutzungszeit erfasst werden, was bei stark strömendem Wasser sowie während der Nutzung regelmäßigen Reinigungen auch nicht zu erwarten war. Die Funde aus den Füllschichten dokumentieren die Aufgabe der Wasserführung im frühen 19. Jahrhundert. Das heißt der Kanal war wohl seit seiner Errichtung im 12./13. Jahrhundert bis zur Aufgabe des Klosters in Funktion. Er war Teil eines komplexen Wassersystems, das die Klosteranlage mit Brauchwasser versorgt hat. Zieht man zur Interpretation des Grabungsbefundes wieder einen historischen Plan hinzu, so erkennt man, dass der Kanal unmittelbar auf die Südostecke der Klausurgebäude der mittelalterlichen Anlage fluchtet. Dort lag das „Barbierhäuslein“, eine vornehme Umschreibung für die zentrale Abortanlage des Konventes. Dies legt den Schluss nahe, dass unser Kanal der Hauptsammler des Brauchwassers war, um es nachdem es die Toilettenanlage gespült hatte nach Osten in Richtung Alb abzuführen.
Ein weiterer Kanal führte diesem Hauptsammler von Süden her Wasser zu Abb. 3, 3). Dieses Teilstück des Brauchwassersystems ist in gleiche Weise konstruiert gewesen. Leider ist gerade die Einmündung in den Hauptkanal durch die spätere Fundamentierung der Treppe gestört worden und nicht mehr nachvollziehbar. Eines fällt jedoch auf: die westliche Wange des Kanals endet nicht an der Geländeoberkante, sondern ist höher ausgeführt und überdies mit speziellem Putz und vorgeblendeten Dachziegeln gegen Feuchtigkeit geschützt. Es scheint so, als konnte hier die Ostwand eines mindestens 20 m langen steinernen Gebäudes erfasst werden, das bislang in den Bildquellen nicht verzeichnet war. Weitere Relikte der mittelalterlichen Besiedlung sind Gruben, die mit mittelalterlichem Abfallmaterial verfüllt waren.
Ausblick
Trotz der anfänglichen Befürchtung, die frühneuzeitliche Nutzung habe alle älteren Reste beseitigt, konnten mit dem Bagger verschiedene Nutzungsschichten wurden aus dem Gelände herauspräpariert werden. Die so erfassten Strukturen wurden digital dokumentiert und werden nun in der Nachbereitung der Grabung durch e&b excav in Pläne umgesetzt und beschrieben. Diese sorgfältige Dokumentation ist notwendig, weil die erfassten Strukturen durch den Neubau beseitigt werden.
Zum besseren Verständnis der erfassten mittelalterlichen Befunde und zur Einbindung in die bislang nur wenig bekannten vorbarocken Baustrukturen St. Blasiens soll noch im Laufe des Herbstes 2023 das Gelände der Innenhöfe durch Dr. Natalie Pickartz mit einer geophysikalischen Untersuchung erfasst werden. Die ehemalige Bebauung müsste sich dort als Anomalien abzeichnen und können mit den Grabungsergebnissen, aber auch den Bodenradaruntersuchungen im Westen der Kirche in Bezug gesetzt werden.
Für die Denkmalpflege und das Grabungsteam um Louis Begemann war es sehr erfreulich, dass die Schüler des Kollegs und Passanten regen Anteil an der Grabung nahmen und den Fortgang der Arbeiten vom Bauzaun aus verfolgten. Die Besucher des Pfingstfestes nutzten am Samstag den 27. Mai 2023 die Möglichkeit sich zum Stand der archäologischen Untersuchungen zu informieren.
Abschießend ist allen Beteiligten der Bauherrschaft des Kollegs St. Blasien, dem Architekturbüro „Spiecker Sautter Lauer – Architekten“, den beteiligten Baufirmen und der Grabungsfirma e&b excav Dank für die ausgezeichnete Zusammenarbeit zu sagen. Gemeinsam ist es uns gelungen ein Stück der Geschichte des ehemaligen Klosters St. Blasien zu dokumentieren und so vor dem Vergessen zu bewahren.

Literatur:
Christel Römer [Red.], Das Tausendjährige Sankt Blasien: 200jähriges Domjubiläum. Bd. 1 Katalog (Karlsruhe 1983).
Christel Römer [Red.], Das Tausendjährige Sankt Blasien: 200jähriges Domjubiläum. Bd. 2 Aufsätze (Karlsruhe 1983).
Guido Linke (Hrsg.), Der Schatz der Mönche. Leben und Forschen im Kloster St. Blasien (Petersberg 2020).

 

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